Das diesjährige GLOBAL FORUM des AJC stand ganz im Zeichen des 110. Gründungsjahres der Interessenvertretung amerikanischer Juden. 1906 als Reaktion auf russische Pogrome gegründet, stand und steht das American Jewish Committee wie keine andere Organisation für den Einsatz gegen Antisemitismus, aber auch gegen Diskriminierung allgemein. Und das AJC setzt sich seit nunmehr 110 Jahren vehement für den Dialog und den Abbau von Vorurteilen ein, zwischen Christen und Juden, zwischen Muslimen und Juden, zwischen den Völkern insgesamt. Leitbild dabei ist immer die Einsicht, dass um Freunde zu haben, man selber Freund sein muss. Die jüdischen Gemeinden weltweit können nur mit Partnern zusammen Einfluss haben und Ziele erreichen.
In diesem Jahr konnte das im April 2015 gegründete KAS-AJC-Alumni Netzwerk zum zweiten Mal an dieser „Vollversammlung des jüdischen Lebens“ teilnehmen. Im Programm fand sich mit der Reunion der Alumni ein eigener Veranstaltungspunkt. Es bot sich damit eine gute Gelegenheit, den rund 30 versammelten Ehemaligen des Austauschprogramms, das Netzwerk vorzustellen und auch auf die Aktivitäten hinzuweisen. Schwerpunkt war dabei für die geplante Israel-Reise im November zu werben. Ziel des Netzwerks auf deutscher Seite ist es, eine 50:50 Beteiligung von deutschen und amerikanischen Alumni an dieser Fahrt zu erreichen. Die Idee stieß bei einigen, gerade auch noch jüngeren Alumni, durchaus auf Interesse. Tony Meyer vom AJC-Vorstand sagte seine Unterstützung für eine gezielte Ansprache bei AJC Alumni zu.
Eröffnet wurde das GLOBAL FORUM durch einen umfassenden Impuls-Vortrag von Yossi Klein Halevi, israelischer Journalist und Autor. Angesichts des 49. Jahrestags des Ausbruchs des Sechs-Tage-Kriegs wies Halevi auf Parallelen und Unterschiede zwischen 1967 und 2016 hin. Vor 49 Jahren sei es um die Existenz Israels gegangen, und auch 2016 seien Israel und Juden weltweit immer noch vielfältigen Gefahren ausgesetzt, sei es durch den Iran, oder einen wachsenden Antisemitismus in Europa. Zugleich stelle sich aber auch die Frage nach der Rolle Israels im Nahen Osten. Halevi machte deutlich, dass die Besetzung palästinensischer Gebiete enden müsse, die westliche Gleichung aber nach der das Ende der Besetzung automatisch Frieden bringe, zu simpel und letztlich auch falsch sei. Angesichts von Hisbollah und Hamas sei Israel keine „Insel im Süd-Pazifik“. Israel und die Juden weltweit stehen nach Halevis Ansicht vor zwei großen internationalen Herausforderungen: 1. Die Infragestellung des jüdischen Narrativs, also der Gründung des Staates Israel und die Idee des Zionismus und 2. das Verhältnis zur islamischen Welt. Er forderte eine neue Offensive um die Existenz Israels zu rechtfertigen. Er sehne sich nach einem Geist der Einigkeit, einem unbedingten Einsatz für Israel trotz vielfacher Diskussionen innerhalb des jüdischen Volkes. Diese Meinungsverschiedenheiten dürften aber den Feinden Israels nicht als Angriffspunkt für ihre Propaganda dienen.
Auch im Verhältnis zu Muslimen dürfe Israel nicht gespalten sein. Gerade in Amerika müssten Juden und Muslime miteinander ins Gespräch kommen. Halevi warnte sowohl vor der Unter- als auch der Überschätzung der Gefahren durch den radikalen Islam. Neben ISIS drohten zweifelsohne Gefahren für Israel durch die Hisbollah, die Hamas und die Muslim Bruderschaft. Aber diejenigen, die nun alle 1,7 Milliarden Muslime weltweit für eine Bedrohung jüdischen Lebens weltweit hielten, seien „falsche Verteidiger Israel“ und müssten zurückgewiesen werden. In ihrem Gefühl bedroht und ausgestoßen zu sein, seien amerikanische Muslime auf der Suche nach Partnern. Es gebe eine grpße Chance, einen guten und fruchtbaren Dialog zwischen amerikanischen Juden und Muslimen zu führen, als Vorbild für andere Regionen der Welt.
In der anschließenden Diskussion mit den Journalisten Jeffrey Goldberg, Julia Ioffe und dem Vorsitzenden des Council on Foreign Relations, Richard Haass warnten die Teilnehmer vor den Gefahren des Isolationismus. Ein Rückzug Amerikas aus Europa, dem Nahen Osten und Asien würde nur zum Füllen der Lücke durch Russland, Iran oder China führen, warnte etwa Richard Haas.
Er sah zugleich eine reale Gefahr für den Zerfall der EU. „Auch Europa ist keine Konstante mehr“. Angesichts der Aussicht auf einen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Donald Trump wies Goldberg darauf hin, wie verrückt die Welt innerhalb der vergangenen 25 Jahre geworden sei. „Wenn 1990 jemand gesagt hätte, der Kreml werde sich einmal für einen Republikaner als Präsidentschaftskandidaten stark machen, hätte das niemand geglaubt.“
Mit der Auszeichnung der Jessidin und irakischen Parlamentsabgeordneten Vian Dakhil mit dem AJC Moral Courage Award wurde bereits am ersten Tag des GLOBAL FORUM ein Höhepunkt gesetzt. In einer sehr ergreifenden Rede wies sie auf das Schicksal der Religionsgemeinschaft der Jessiden im Irak hin. Die Terrororganisation Islamischer Staat verübe furchtbare Massaker an den Jessiden und es werde immer noch viel zu wenig getan, um das Morden zu beenden, beklagte Dakhil.
Die Gefahren durch ISIS waren auch Thema zahlreicher anderer Diskussionsveranstaltungen. Klare Worte fand dazu etwa Saad Amrani von der Brüsseler Polizei. Er warnte eindringlich vor den Langzeit-Gefahren, die auch nach einem militärischen Sieg über ISIS im Irak für Europa weiter existierten. Das Frustrationspotenzial sei enorm. Allein in Frankreich gäbe es rund 400 Molenbeeks, also Viertel wie in Brüssel, in denen die Attentäter von Paris und Brüssel wohnten und lebten. Der Schlüssel für ein Ende der Gewalt und der Terrorsehnsucht unter jungen Muslimen in Europa sei die Teilhabe am wirtschaftlichen Leben und Erfolg. Mehrheitlich sei es die Perspektivlosigkeit einen Job zu finden, die Jugendliche anfällig für den ISIS machten.
Amrani sprach sich zugleich für „eine neue Ehrlichkeit in der Gesellschaft“ aus. Jahrzehntelang habe man die sich schon abzeichnenden Probleme zwischen Muslimen und der Bevölkerung ignoriert oder schön geredet.
Der Brüsseler Polizeichef war auch Gast beim von Deidre Berger vom AJC Berlin moderierten Panel „Does Europe have a future?“. Die Antwort fiel überwiegend negativ aus. Neben Amrani äußerte sich auch Douglas Murray, Brexit-Befürworter und Associate Director der Henry Jackson Society, sehr skeptisch, was die Zukunft Europas angeht. Beide warnten vor Naivität im Umgang mit Islamisten und zeichneten das Bild eines Europas, in dem die Juden bedroht seien, weil sie ihre Identität bewahrt hätten und lebten. Eine Integration von Muslimen und Flüchtlingen fände bislang nicht statt und würde zwangsläufig zu Konflikten führen.
Auch der grundsätzlich pro-europäische Pole Konstanty Gebert vom European Council on Foreign Relations gab zu Bedenken, dass Europa sich seiner Werte derzeit nicht bewusst sei.
Highlights auf diesem GLOBAL FORUM waren aber auch vor allem die Großveranstaltungen bzw. großen Plenarsitzungen. So wurde die neueste Initiative des AJC „Mayors United Against Anti-Semitism groß gewürdigt. Über 80 Bürgermeister großer und mittlerer Städte in den USA aber auch in Europa haben den Aufruf und Beschluss gegen Anti-Semitismus zu kämpfen inzwischen unterschrieben. Der britische Labour Abgeordnete John Mann hielt ein flammendes Plädoyer für die Aktion. Eindrucksvoll war auch die Rede von US-Sicherheitsberaterin Susan Rice. Sie war ein klares Statement der unzerbrechlichen Freundschaft zwischen den USA und Israel. Israel sei nicht allein, wenn die Hamas Tunnel grabe um Israelis zu entführen und zu ermorden. Israel sei nicht allein, wenn die UN Israel versuche zum Sündenbock zu machen, Israel sei nicht allein wenn ihm das Existenzrecht abgesprochen werde. Präsident Obama sei ein entschiedener Befürworter und Freund Israels, so Rice.
Dies zeige sich sowohl in den militärischen Anstrengungen der USA zugunsten Israels als auch das intensive Bemühen, den Friedensprozess vorwärts zu bringen und sich für die Zwei-Staaten-Lösung einzusetzen. Sie beendete ihre Rede mit den Worten Theodor Herzls „Wenn Du etwas wirklich erreichen willst, ist es kein Traum mehr“.
Die 110-jährige Geschichte des AJC zeigt, dass dieses Zitat sich auch hier bewahrheitet hat. Die Gründungsväter des American Jewish Committee wollten dem amerikanischen Judentum eine Stimme geben, um sich für Juden weltweit und letztlich für alle Unterdrückten einzusetzen. Das haben sie erreicht. Der AJC und sein alljährliches GLOBAL FORUM sind ein beeindruckendes Beispiel dafür, wie bedeutend die Organisation ist und wie sie sich als Stimme durchsetzt.
Das GLOBAL FORUM mit seinen in diesem Jahr über 2600 Teilnehmern ist für das KAS-AJC Alumni Netzwerk eine wichtige Veranstaltung, um sich sowohl zu präsentieren im Chor der vielen AJC-Stimmen als auch um sich Input zu wichtigen Themen und Anregungen für eigene Diskussionen zu holen. Es bietet sich die einzigartige Gelegenheit mit unterschiedlichsten Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft und den jüdischen Gemeinden Amerikas und der Welt zusammenzukommen und sich auszutauschen. Das Netzwerk ist dabei ein kleiner, aber sicherlich guter Teil, Deutschlands stetes Bemühen, Israel und das jüdische Leben zu unterstützen, nach außen zu kommunizieren. Das 36 Jahre alte Austauschprogramm von Konrad Adenauer Stiftung und AJC wird selbst auf einer so großen Veranstaltung wahrgenommen und gewürdigt und mit dem Netzwerk gibt es seit 2015 eine großartige Gelegenheit, das Momentum und die Inspiration der einen Woche Austausch weiterzutragen und die Werte und Ideale des Austauschs weiterzutragen.
Jens Teschke, Mitglied des Vorstands